Offener Brief des Österreichischen Tierschutzvereins an die UNESCO Österreich Sehr geehrte Frau Präsidentin Sabine Haag, die Entscheidung der UNESCO aus dem Jahr 2010, den „Singvogelfang im Salzkammergut“ als immaterielles Kulturerbe auszuzeichnen, war – bei allem Respekt – ein „schwerwiegendes Missverständnis“. Fünfzehn Jahre später zeigt sich deutlicher denn je: Diese Auszeichnung schützt eine Praxis, die in der EU aus gutem Grund verboten ist – weil sie Tausenden Wildvögeln unnötiges Leid zufügt. Kulturerbe-Status legitimiert in der EU verbotene Tierquälerei Der Singvogelfang ist seit 1979 EU-weit verboten – aus einem klaren Grund: Er ist Tierquälerei. Trotzdem dürfen im oberösterreichischen Salzkammergut rund 500 in Vereinen organisierte Personen weiterhin Stieglitze, Gimpel, Erlenzeisige und Fichtenkreuzschnäbel im Herbst fangen, Ende November ausstellen und über den Winter in Volieren halten. Jedes Jahr landen so mehrere Tausend Singvögel in Gefangenschaft – unzählige sogar für ihr ganzes Leben lang, weil sie immer wieder von den Vogelfängern als lebende Lockvögel genutzt werden. UNESCO-Auszeichnung widerspricht europäischen Grundwerten Dass diese Jagd-Praxis, die nur durch ein regionales Sondergesetz erlaubt ist, von der UNESCO „geadelt“ wurde, ist nicht nur unverständlich, sondern fatal. Die Entscheidung basierte nicht auf wissenschaftlichen oder tierschutzrechtlichen Gründen, sondern auf Lobbyarbeit der regionalen Vogelfänger. Ein immaterieller Kulturerbe-Titel darf jedoch kein Feigenblatt sein, um überholte Traditionen vor modernen Rechtsstandards zu schützen. Wissen nicht auf Kosten von tausenden Wildvögeln vermitteln In der UNESCO-Begründung heißt es, der Vogelfang bewahre „jahrhundertealtes Wissen“. Doch dies lokale Kenntnis über Vogelverhalten, Fangtechniken oder alte Begriffe ist nicht mehr zeitgemäß und rechtfertigt in einer Zeit abnehmender Singvogelbestände nicht das Leid von Tausenden Wildtieren. Ein Appell im Sinne des Tierwohls Wir ersuchen die UNESCO eindringlich: Bitte überprüfen Sie den Status des Singvogelfangs und erkennen Sie die Auszeichnung wieder ab. Es geht nicht darum, Tradition zu zerstören, sondern darum, Leid zu verhindern. Ein Weltkulturerbe sollte das Beste der menschlichen Kultur repräsentieren – nicht das Festhalten an Praktiken, die heute ethisch nicht mehr vertretbar sind. Im Namen des Österreichischen Tierschutzvereins ersuchen wir Sie, ein starkes Zeichen zu setzen: Für Natur, für Tierwohl, für Glaubwürdigkeit. Mit freundlichen Grüßen Alfons Hargaßner Geschäftsführer des Österreichischen Tierschutzvereins